Unerlaubtes Handeltreiben mit Arzneimitteln oder unerlaubte Abgabe von Arzneimitteln

BGH 1 StR 453/02 – Urteil vom 3. Juli 2003 (LG Regensburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken; mittelbare Täterschaft (Täter kraft Tatherrschaft; Organisationsherrschaft; Täter hinter dem Täter; Übertragung in das Wirtschaftsstrafrecht / auf Unternehmen); unerlaubte Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Tierhalter (Dispensierrecht); unerlaubtes Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit irreführender Bezeichnung (Bewertungseinheit); Unparteilichkeit des Sachverständigen (Besorgnis der Befangenheit bei Äußerungen in Publikationen, Lehrveranstaltungen oder Fachtagungen); unerlaubtes Inverkehrbringen verschreibungspflichtiger Arzneimittel außerhalb von Apotheken; Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit bei mehreren Tatbeteiligten (mittelbare Täterschaft; Abgrenzung nach den jeweiligen Tathandlungen); milderes Gesetz (Umwandlung in eine Ordnungswidrigkeit); Beweiswürdigung (Kognitionspflicht); Berufsverbot (Pflichtverletzung); Verfall (unbillige Härte: keine Umgehung des Bruttoprinzips / Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne; Entreicherung; Ermessen).

§ 73c Abs. 1 S. 1 StGB; § 73c Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB; § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG a.F.; § 43 Abs. 1 AMG a.F.; § 95 Abs. 1 Nr. 8 AMG; § 56a Abs. 1 Nr. 1 AMG; § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG; § 96 Nr. 3 AMG; § 25 Abs. 1 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 70 Abs. 1 StGB; § 2 Abs. 3 StGB; § 74 Abs. 1 StPO; § 24 Abs. 2 StPO; § 261 stopp

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann Täter kraft Tatherrschaft auch derjenige sein, der bestimmte Rahmenbedingungen durch Organisationsstrukturen schafft, die regelhafte Abläufe auslösen, wenn er diese Bedingungen ausnutzt, um die erstrebte Tatbestandsverwirklichung herbeizuführen. Nach diesem Maßstab bejaht der Bundesgerichtshof mittelbare Täterschaft auch bei unternehmerischer Betätigung unabhängig davon, ob die unmittelbaren Täter schuldhaft handeln (hier: Anwendung auf eine Tierarztpraxis).

2. Ein Handeltreiben i. S. von § 43 Abs. 1 S. 2, 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG ist ebenso zu verstehen wie im Betäubungsmittelrecht. Danach reicht die bloße Entgeltlichkeit nicht. Vielmehr muss sich für den Täter bei objektiver Betrachtung eigener Nutzen aus dem Umsatzgeschäft selbst ergeben, so dass der Verkauf zum Selbstkostenpreis zwar eine entgeltliche Veräußerung, aber kein Handeltreiben darstellt (st. Rspr., vgl. BGH StV 1985, 235).

Das Landgericht Regensburg hat den Angeklagten, einen Straubinger Tierarzt, in insgesamt 861 Fällen wegen verschiedener Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz, insbesondere wegen unerlaubten Handeltreibens mit beziehungsweise unerlaubter Abgabe und unerlaubten Inverkehrbringens von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken, wegen unerlaubten Inverkehrbringens nicht zugelassener Arzneimittel und unerlaubten Inverkehrbringens von Arzneimitteln mit irreführender Bezeichnung – teilweise in Tateinheit mit Urkundenfälschung oder mit Verstößen gegen das Patentgesetz – sowie wegen eines Verstoßes gegen das Tierseuchengesetz verurteilt. Es hat gegen ihn eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verhängt und Wertersatzverfall für einen Betrag von 150.000 € angeordnet. Von der Anordnung eines Berufsverbots hat es abgesehen. Vom Vorwurf weiterer unerlaubter Verkaufsgeschäfte mit Arzneimitteln hat es den Angeklagten freigesprochen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte, der sich wegen der Tatvorwürfe von Januar 2001 bis Februar 2002 in Untersuchungshaft befand, seine Tierarztpraxis mit durchschnittlich 12 angestellten Tierärzten und weiterem nichttierärztlichen Personal so organisiert, daß er einen möglichst großen Arzneimittelumsatz erzielte, da ihm von den Pharmafirmen Rabatte in Form von unberechneten Zusatzlieferungen gewährt wurden, deren Umfang sich an seinen Bezugsmengen orientierte. Seinen Anweisungen entsprechend wurden verschreibungspflichtige Arzneimittel aus seiner tierärztlichen Hausapotheke nicht nur an Tierhalter verkauft, sondern unter anderem auch im Rahmen von 726 Verkaufsgeschäften an sechs nicht bei ihm angestellte Tierärzte. Derartige Medikamente wurden außerdem an Tierhalter weitergegeben, ohne daß deren Tiere durch den Angeklagten oder einen bei ihm angestellten Tierarzt ordnungsgemäß behandelt worden wären. So belieferte der Angeklagte in 13 Fällen einen Schweinemastbetrieb mit einem Tierbestand von 25.000 Tieren. Schließlich wurden an Tierhalter Arzneimittel wie die nicht verschreibungspflichtige Acetylsalicylsäure (Aspirinwirkstoff) oder auch verschreibungspflichtig Penicillin- und Cortisonpräparate – teilweise unter irreführender Bezeichnung – abgegeben, die nicht für die Tierart zugelassen waren, bei der sie angewendet werden sollten. In einem Fall verkaufte der Angeklagte ein Anabolikum an einen Bodybuilder. Der Angeklagte erzielte mit diesen Geschäften im Zeitraum zwischen Januar 1998 und Januar 2001 einen Gesamtumsatz von mehr als 800.000 €.

Gegen das Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.

Auf die Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung insbesondere aufgehoben, soweit sie 320 Verkaufsgeschäfte betraf, in denen der Angeklagte Medikamente an Tierärzte veräußerte. Hier lagen nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht sämtliche Voraussetzungen der Strafbarkeit vor. Einerseits hat das Landgericht für die Verkaufsvorgänge vor dem 11. September 1998, dem Zeitpunkt in dem das Arzneimittelgesetz geändert wurde, nicht geklärt, ob die kaufenden Tierärzte die Arzneimittel als Endverbraucher erwarben, andererseits wurde bei einem Teil der von da an abgeschlossenen Geschäfte eine Gewinnerzielungsabsicht des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei verneint. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof die Annahme einer selbständigen Tat für jeden einzelnen Verkaufsvorgang beanstandet und daher den Schuldspruch in zwei Tatkomplexen berichtigt.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte lediglich hinsichtlich eines Teils der Freisprüche sowie hinsichtlich des Umfangs der Verfallsanordnung und des unterbliebenen Berufsverbots Erfolg. Insbesondere hatte das Landgericht zu Unrecht lediglich Wertersatzverfall für den Verkaufsreingewinn des Angeklagten angeordnet und nicht für den gesamten bei den Geschäften erzielten Umsatz, wie es das Gesetz mit dem Bruttoprinzip vorsieht. Zwar besteht die Möglichkeit einer Ausnahme in Härtefällen. Die Kammer hat jedoch bei der Anwendung der Härtefallregelung wesentliche Umstände nicht berücksichtigt, insbesondere Indizien dafür, daß der Angeklagte Teile seines Vermögens bewußt im Hinblick auf das Verfahren beiseite schaffte.
In der erforderlichen neuen Verhandlung wird daher insbesondere über die Gesamtstrafe, den Umfang der Verfallsanordnung sowie über die Frage eines Berufsverbotes zu entscheiden sei.

Urteil vom 3. Juli 2003 – 1 StR 453/02

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