Urteil des BVerfG vom 2. März 2006 – 2 BvR 2099/04 –
Die Verfassungsbeschwerde einer Richterin, die sich gegen die Anordnung
der Durchsuchung ihrer Wohnung wegen des Verdachts der Verletzung von
Dienstgeheimnissen gewandt hatte, war erfolgreich. Im Rahmen der
Durchsuchung war unter anderem auf die im Computer der
Beschwerdeführerin gespeicherten Daten sowie auf die
Einzelverbindungsnachweise ihres Mobilfunktelefons Zugriff genommen
worden (vgl. Pressemitteilung Nr. 107/2005 vom 28. Oktober 2005). Der
Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hob mit Urteil vom 2. März
2006 einstimmig die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts auf. Zwar
sei nicht das Fernmeldegeheimnis verletzt, da nach Abschluss des
Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers
gespeicherte Verbindungsdaten nicht vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1
GG umfasst würden. Die Daten seien jedoch durch das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf
Unverletzlichkeit der Wohnung geschützt. Danach darf auf die beim
Kommunikationsteilnehmer gespeicherten Daten nur unter bestimmten
Voraussetzungen und insbesondere nach Maßgabe des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugegriffen werden. Im vorliegenden Fall
sei die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten verletzt, da die
Durchsuchungsanordnung des Landgerichts dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend Rechnung trage. Der
fragliche Tatverdacht und die erheblichen Zweifel an der Geeignetheit
der Durchsuchung stünden außer Verhältnis zu dem Eingriff in die
Grundrechte der Beschwerdeführerin.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Die angegriffenen Beschlüsse greifen nicht in das Fernmeldegeheimnis
(Art. 10 Abs. 1 GG) ein.
Die gerichtlichen Anordnungen betrafen ausschließlich in der
Privatsphäre der Beschwerdeführerin gespeicherte Daten über einen
bereits abgeschlossenen Kommunikationsvorgang. Die nach Abschluss des
Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des
Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Verbindungsdaten werden nicht
durch das Fernmeldegeheimnis, sondern durch das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht
auf Unverletzlichkeit der Wohnung geschützt. Der Schutz des
Fernmeldegeheimnisses endet in dem Moment, in dem die Nachricht bei
dem Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet ist.
Während für den Kommunikationsteilnehmer keine technischen
Möglichkeiten vorhanden sind, das Entstehen und die Speicherung von
Verbindungsdaten durch den Nachrichtenmittler zu verhindern oder auch
nur zu beeinflussen, ändern sich die Einflussmöglichkeiten, wenn sich
die Daten in der Sphäre des Teilnehmers befinden. Der Nutzer kann
sich bei den seiner Verfügungsmacht unterliegenden Geräten gegen den
unerwünschten Zugriff Dritter durch vielfältige technische
Vorkehrungen schützen. Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit mit den
sonst in der Privatsphäre des Nutzers gespeicherten Daten. Die
spezifischen Risiken eines der Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeit
des Teilnehmers entzogenen Übertragungsvorgangs, denen Art. 10 Abs. 1
GG begegnen will, bestehen im Herrschaftsbereich des
Kommunikationsteilnehmers nicht mehr.
2. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts verletzen die
Beschwerdeführerin aber in ihrem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG)
sowie in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs.
1 GG).
a) Ein Durchsuchungsbeschluss, der – wie hier – zielgerichtet und
ausdrücklich die Sicherstellung von Datenträgern bezweckt, auf
denen Telekommunikationsverbindungsdaten gespeichert sein sollen,
greift in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein.
Fernmeldegeheimnis und Recht auf informationelle Selbstbestimmung
stehen, soweit es den Schutz der
Telekommunikationsverbindungsdaten betrifft, in einem
Ergänzungsverhältnis. Greift Art. 10 GG nicht ein, werden die in
der Herrschaftssphäre des Betroffenen gespeicherten
personenbezogenen Verbindungsdaten durch das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Damit wird der besonderen
Schutzwürdigkeit der Telekommunikationsumstände Rechnung getragen
und die Vertraulichkeit räumlich distanzierter Kommunikation auch
nach Beendigung des Übertragungsvorgangs gewahrt.
Beschränkungen dieses Rechts bedürfen einer gesetzlichen
Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit
entspricht. §§ 94 ff. StPO und insbesondere §§ 102 ff. StPO
entsprechen den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Die Möglichkeit, auf der Grundlage der §§ 94 ff. und §§ 102 ff.
StPO auf die im Herrschaftsbereich des Betroffenen gespeicherten
Verbindungsdaten zuzugreifen, ist für eine wirksame
Strafverfolgung nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch
angemessen. Insbesondere fordern die besondere Schutzwürdigkeit
der Verbindungsdaten und das darauf bezogene Ergänzungsverhältnis
zu Art. 10 GG nicht ein Schutzniveau, das einen Eingriff in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur bei der Verfolgung
von Straftaten von erheblicher Bedeutung zuließe. Soweit das
Bundesverfassungsgericht bei Maßnahmen, die auf Erlangung der bei
einem Telekommunikationsmittler gespeicherten Verbindungsdaten
gerichtet waren, eine Beschränkung auf Ermittlungen in Bezug auf
Straftaten von besonderer Bedeutung für notwendig gehalten hat,
kann dies auf die bei dem Betroffenen gespeicherten
Verbindungsdaten nicht ohne Weiteres übertragen werden. Beim
Zugriff auf die Verbindungsdaten, die in der Sphäre des
Betroffenen gespeichert sind, fehlt es an der Heimlichkeit der
Maßnahme. Eine offene Maßnahme bietet dem Betroffenen
grundsätzlich die Möglichkeit, bereits der Durchführung der
Maßnahme entgegenzutreten, wenn es an den gesetzlichen
Voraussetzungen fehlt, oder aber zumindest die Einhaltung der im
Durchsuchungsbeschluss gezogenen Grenzen zu überwachen.
b) Der erhebliche Eingriff sowohl in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung als auch in die Unverletzlichkeit der Wohnung
bedarf jeweils im konkreten Fall einer Rechtfertigung nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Beim Zugriff auf die bei dem
Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten ist auf deren erhöhte
Schutzwürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Die
Verhältnismäßigkeitsprüfung muss dem Umstand Rechnung tragen, dass
es sich um Daten handelt, die außerhalb der Sphäre des Betroffenen
unter dem besonderen Schutz des Fernmeldegeheimnisses stehen und
denen im Herrschaftsbereich des Betroffenen ein ergänzender Schutz
durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zukommt. Im
Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden
Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden
Verbindungsdaten sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der
Maßnahme entgegenstehen. Dem Schutz der Verbindungsdaten muss
bereits in der Durchsuchungsanordnung, soweit die konkreten
Umstände dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks erlauben,
durch Vorgaben zur Beschränkung des Beweismaterials auf den
tatsächlich erforderlichen Umfang Rechnung getragen werden. Dabei
ist vor allem an die zeitliche Eingrenzung der zu suchenden
Verbindungsdaten zu denken oder an die Beschränkung auf bestimmte
Kommunikationsmittel, wenn die Auffindung verfahrensrelevanter
Daten in anderen Endgeräten des Betroffenen von vornherein nicht
in Betracht kommt.
3. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts tragen dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend Rechnung.
Der gegen die Beschwerdeführerin bestehende Tatverdacht war
allenfalls als äußerst gering zu bewerten und vermochte keinesfalls
die vorgenommenen schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte der
Beschwerdeführerin zu rechtfertigen. Das geringe Gewicht des
Tatverdachts folgt bereits aus der Vielzahl von Personen, die für die
fragliche Weitergabe der Informationen in Betracht kamen. Einige von
ihnen wurden allein aufgrund eigener Bekundungen als Verdächtige
ausgeschlossen, andere wurden überhaupt nicht in die Betrachtung
einbezogen. Auch die Geeignetheit der Durchsuchung zum Auffinden von
Beweismitteln war von vorneherein zweifelhaft. Im Zeitpunkt der
Durchsuchungsanordnung waren bereits fast fünf Monate seit der
mutmaßlichen Tat vergangen. Der fragliche Tatverdacht und die
erheblichen Zweifel an der Geeignetheit der Durchsuchung stehen außer
Verhältnis zu dem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung und
das Recht der Beschwerdeführerin auf informationelle
Selbstbestimmung. Das Landgericht hätte von Verfassungs wegen von der
Anordnung absehen müssen. (Quelle: Pressemitteilung des BverfG)